Grün (Dia-Abend – Teil 9)

Man sieht das Grün nicht richtig.

Diese Farbe bekommt man nicht auf den Film. Da kann man sich noch so sehr bemühen. Nichts ist so, wie man glaubt, dass es wäre. Man sieht ein Bild und behauptet, das ist die Realität, dabei ist es nur ein Abbild von dem, was man gesehen hat, ein winzig kurzer Augenblick, und eine hundertstel Sekunde später ist alles schon wieder ganz anders, und man weiß gar nicht, ob das, was man grade aufgenommen hat, wirklich dauerhaft existent ist, oder ob es nur der blitzartige Übergang von einer Wahrheit in die nächste war.

Man denkt, dieses Grün ist so grün, dass es gar nicht dauerhaft sein kann, weil man es so nicht kennt. Und deswegen kann man es auch nicht fotografieren. Es geht einfach nicht. Es ist vollkommen sinnlos, es zu versuchen. Das ist so, als ob das Meer eine Welle über den Strand spült. Sie versickert im Sand oder läuft zurück in die Brandung. Und so oder so: Wenn ein Mensch versucht, genau dieses Wasser wiederzufinden, es aus dem Sand zu filtern oder es aus der nächsten Welle zu extrahieren – er wird scheitern. Genauso ist das mit den Fotos: Man will ein Abbild der Realität einfangen und weiß noch nicht einmal, ob diese Realität überhaupt real ist. Sie existiert und vergeht und existiert und vergeht. Und das Foto davon ist alles andere als ein Abbild.

Es ist irgendetwas.
Es ist unwahr.

Die Wirklichkeit ist mehr als ihr Abbild, ich kann die Wahrheit des Augenblickes nicht festhalten. Nicht mal für eine tausendstel Sekunde. Die Zeit vergeht um mich herum, und ich vergehe mit ihr, wir zerfallen zur Erinnerung, lösen uns auf, werden zu Abermilliarden unkenntlicher Atome, die mit dem Universum zu einem gigantischen Nichts expandieren.

Irgendwann.

Und bis dahin geht jeder von uns seinen Weg. Ich hinterlasse die Andeutung eines Fußabdrucks, einen Fetzen Kaugummi-Papier, einen zuckrigen Speichelsee, auf den sich die Ameisen stürzen und den Widerhall des Klicks meines Fotoapparates. Mein Gewicht verschwindet vom Waldboden, und alles wird so sein, wie es immer schon war.

Und ich kann nichts von dem, was ich sehe, mitnehmen.
Nichts von dem, was ich höre, rieche oder schmecke.
Keine Berührung.
Nur die Erinnerung
an die Erinnerung
an die Erinnerung
an das Grün.

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