Story: Care-Pakete aus Nahost – Teil 1

Nach dem Zweiten Weltkrieg bedeuteten die Care-Pakete aus den Vereinigten Staaten für Millionen von Deutschen sicherlich mehr als nur ein kleiner Beitrag zum Überleben. Über die Unglaublichkeit hinaus, vom ehemaligen Feind plötzlich mit allerlei altbekannten Grundnahrungsmitteln versorgt zu werden, konnte man sich plötzlich auch an die eine oder andere neue Speise aus Übersee gewöhnen, womit die amerikanischen Freunde (bestimmt nur ganz zufällig) vielleicht ja auch die Globalisierung der Esskultur vorbereiteten.

Was eine solche Fremdquelle in der persönlichen Nahrungskette bedeuten kann, konnte ich in meiner Kindheit, Jahrzehnte nach der Care-Bewegung, am eigenen Gaumen erfahren. Bewusst ab den ersten Grundschultagen, die ich in einem Bezirk Berlins verleben durfte, der – trotz der intensiven amerikanischen Bemühungen – damals nicht unbedingt für seine kulinarischen Extravaganzen bekannt war: in Tempelhof.

Nun muss man dazu wissen, dass mein Vater aus Syrien stammt, ich auch dort geboren wurde, und die Kindheit, von der die Rede ist, Ende der 60er-Jahre Anfang der 70er stattfand.

In dieser Zeit gehörten Nicht-Deutsche nicht gerade zum üblichen Stadtbild. Als Kind mit einem ausländischen Namen war man im idyllischen Tempelhof etwas derart Besonderes, wie man es heute vielleicht mit einem dritten Auge am Kinn wäre. Es gab einfach keine Kinder in unserer Gegend, die eine vergleichbar ungewöhnliche Herkunft hatten (außer sie waren die Kinder alleinerziehender Mütter – oder die Eltern waren grade frisch aus „der Zone“ geflohen). Man kann sich diese Situation heute kaum noch vorstellen, aber es war so.

Und es konnte ganz schön nerven.

Da zu dieser Zeit die so genannten „Gastarbeiter“ in so verschwindend geringer Zahl in Berlin lebten, gab es natürlich auch nur eine verschwindend geringe Zahl an Lebensmittelläden, die nichtdeutsche Lebensmittel führten – in Tempelhof so ungefähr gar keine.

Wollte man außerhalb seiner zwei Wochen Urlaub mal etwas Besonderes essen, ging man freudig erregt in eine der frisch aus Italien importierten – und damals tatsächlich noch echten Italiener gehörenden, exotischen Pizzerien, um dort lambruscoselig vom letzten Adria-Urlaub zu schwärmen.

Nur einmal im Jahr hatte man die Gelegenheit, etwas Ungewohntes kennenzulernen. Dann zog es Zehntausende der ess- und weinstraßen-interessierten Berliner zur Grünen Woche, bei der man (damals noch kostenlos!) alle möglichen fremden Köstlichkeiten probieren durfte. Spontan fallen mir da z.B. zwei aufregende Neuheiten jener Dekade ein: Chicorée und („Nein, die Schale isst man nicht mit“) Kiwis.

Regelmäßig fremde Gaumenreize erleben durfte nur, wer zu den Privilegierten gehörte:
Da gab es erstens die auserwählten oberen Tausend (vornehmlich aus Zehlendorf, Charlottenburg oder Wilmersdorf, inkl. der damals noch in der Überzahl existierenden fröhlichen Witwen), die sich im obersten Stock des KaDeWes mit allerlei kaum zu begreifenden unbekannten Köstlichkeiten versorgen konnten, wie z.B. Chicorée oder („Nein, Sie haben Recht, die Schale schmeckt nicht so gut“) Kiwis.

Und zweitens gab es uns: meine Mutter, meinen Bruder und mich, begünstigt durch das angeborene Versorgungstalent meines Vaters und vor allem durch seine verbliebenen Heimatkontakte.  (weiter)

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